Die Beschäftigung mit dem Thema war notwendig geworden, weil Frankreich eine Überprüfungskonferenz für das 1980 verabschiedete Landminenprotokoll beantragt hatte. Vorletztes Jahr hatte Deutschland den Vertrag ratifiziert, um bei einer Novellierung mitreden zu dürfen.
Während der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, Knut Ipsen, gestern lediglich ein Verbot aller Anti-Personen-Minen forderte, will die Internationale Landminenkampagne alle Minen abschaffen. "Eine Anti-Panzer-Mine explodiert, wenn ein Bauer sie ausgräbt. Sie kann auch nicht zwischen einem Schulbus und einem Militärfahrzeug unterscheiden", begründet Thomas Gebauer von medico international diese Position.
Jedes Jahr werden etwa 26.000 Menschen durch Minen getötet oder verstümmelt. Auch wenn der Krieg schon lange vorbei ist, fordert er auf diese Weise immer neue Opfer. Und die Verseuchung der Erde mit dieser oft weniger als zehn Mark teuren Waffe schreitet massiv voran. Fünf bis zehn Millionen Minen werden Jahr für Jahr produziert; zwischen 80 und 110 Millionen Stück liegen bereits in 65 Ländern herum. Entschärft werden aber nur etwa 100.000 im Jahr - die Räumung ist mit 1.000 Dollar pro Stück extrem teuer.
entnommen aus der TAZ vom 21.6.95 Seite 2
Nur sieben Länder fordern den weltweiten Bann aller Minen: Mexiko, Kambodscha und Afghanistan, Irland, Kolumbien, Estland und Schweden. Die deutsche Regierung hingegen besteht darauf, daß Minen zur Landesverteidigung notwendig seien. Sowohl Anti-Panzer-Minen als auch durch Raketen und Flugzeuge verlegbare Minenteppiche will die Bundeswehr weiterhin in ihren Waffenkammern wissen. Fernverlegbare Systeme sollen mit einem Selbstzerstörungsmechanismus ausgestattet sein, nicht aber systematisch verlegte Anti-Panzer-Minen. Auch die USA und andere Nato-Länder unterstützen diese Position.
China, einer der größten Minenhersteller, protestiert gegen eine solche Regelung, weil das Land ökonomische Einbußen fürchtet. Die billigen Tretminen und die als Plastikspielzeug getarnten Minen verfügen nämlich nicht über die komplizierte Elektronik. Pakistan will nicht einmal festschreiben, daß Minen geächtet werden, die durch Suchgeräte nicht aufspürbar sind. Weil das Protokoll im Konsens angenommen werden muß, werden andere Staaten dem Land für den Verzicht auf ein Veto etwas anbieten müssen - Unterstützung bei der Produktion modernerer Systeme wäre da eine Möglichkeit.
Der Vertrag wird nur dann Wirkung haben, wenn seine Einhaltung überprüft wird. Hier fordert Deutschland eine starke Kontrolle durch die UNO - wohlwissend, daß das Risiko für eine Verabschiedung gering ist. Im Vorfeld der Überprüfungskonferenz ist nämlich von verschiedenen Seiten immer wieder von einer "Selbst-Beobachtung der Armeen" die Rede. "Wenn die Einhaltung der Konvention von denen überprüft werden soll, die dagegen verstoßen, ist endgültig der Bock zum Gärtner gemacht", so Gebauer.
Hergestellt in den Waffenschmieden der USA, Chinas, Frankreichs und der
Ex-UdSSR, der früheren CSSR, Vietnams, Singapurs, Thailands und Italiens
haben Minen in dem 1970 begonnenen Krieg und Bürgerkrieg schon heute mehr
Menschen das Leben gekostet als jede andere Waffe. Über 35.000 Kindern,
Frauen und Männern mußten schon aufgrund von Minenverletzungen Arme oder
Beine amputiert werden. Hinter Malaria und Tuberkulose gilt solcherart
verursachte Verstümmelung als Volkskrankheit Nummer drei in dem asiatischen
Land. Die UNO hält die Minenverseuchung für die schlimmste von Menschen
verursachte Umweltkatastrophe dieses Jahrhunderts in Kambodscha.
entnommen aus der TAZ vom 21.6.95 Seite 3
Wie in Kurdistan sind weite Landstriche der Dritten Welt und neuerdings auch
Europas - nämlich im ehemaligen Jugoslawien - durch Minen verseucht.
- Schätzungen von UNO, dem Internationalen Roten Kreuz und dem
US-State-Department bewegen sich zwischen 80 und 200 Millionen Minen, die in
65 Ländern unerkannt als tödliche Gefahr in der Erde lauern.
- Jahr für Jahr werden fünf bis zehn Millionen Minen produziert. Zwei
Millionen Minen werden gelegt, aber nur 100.000 beseitigt.
- Jedes Jahr werden 26.000 Menschen durch Landminen getötet oder verletzt,
das sind siebzig pro Tag, drei in der Stunde. Jede Stunde werden ein Kind
beim Spielen, eine Frau beim Wasserholen oder ein Mann beim Versuch, ein
Stück Land wieder zu bebauen, von einer Mine zerrissen. Die Überlebenden sind
verstümmelt.
Betroffen sind vor allem die Regionen, in denen sich die Stellvertreterkriege
der Großmächte in den letzten vierzig Jahren konzentrierten, in Südostasien
sind das Kambodscha, Vietnam, Laos, in Mittelamerika Salvador, Nicaragua,
Honduras, in Afrika Angola, Somalia, Mosambik, im Nahen Osten Kurdistan und
Afghanistan.
Wenn der Krieg offiziell vorbei ist, fängt der Minenkrieg erst richtig an.
Flüchtlinge, die in ihre Dörfer zurückkehren, finden ihre Äcker, ihre
Wasserstellen, manchmal gar ihre Häuser vermint wieder.
Minenprotokolle existieren fast nie, oft sind Minen ja von vornherein als
Terrorinstrument gegen die Zivilbevölkerung gedacht. Den kriegführenden
Parteien gelten Minen in vielen Situationen als ideale Waffe. Sie sind billig
- die Stückkosten für einfache Anti- Personen-Minen liegen bei rund 3 Dollar.
Einmal verlegt bleiben sie über Jahrzehnte scharf - ein optimaler Soldat, wie
ein General der Roten Khmer einmal erläuterte: "billig, zuverlässig und
jederzeit einsatzbereit".
Minen wurden erstmals im Ersten Weltkrieg als Tretminen, die ein bestimmtes
Gelände sperren sollten, eingesetzt. Im Zweiten Weltkrieg waren Minen die
Anti- Panzer-Waffe schlechthin. Um zu verhindern, daß Minenfelder gegen
Panzer leicht geräumt werden können, wurden sie durch Anti- Personen-Minen
gesichert. Während des Krieges genügte es den Militärs dann, Schneisen durch
Minenfelder zu schlagen und die Durchfahrten zu sichern. Der Rest blieb
liegen. Weite Teile der Nordafrikanischen Wüste sind seit den Rommelschen
Feldzügen minenverseucht.
Massenhaften Mineneinsatz gegen Guerillatruppen führten erstmals die USA in
Vietnam durch. Aus Hubschraubern wurden ganze Minenfelder in wenigen Minuten
verlegt - eine Hinterlassenschaft, die Kambodscha, das nach den Amerikanern
noch von den Roten Khmer, den Chinesen und Vietnamesen vermint wurde, zu dem
am schlimmsten verseuchten Gebiet weltweit machen.
Selbst Minen, die noch zur Primitivversion zählen, offenbaren bereits eine
besondere Perversion des militärischen Denken. Sie sind häufig so
konstruiert, daß sie vor der Detonation einen halben Meter in die Höhe
springen und gezielt den Genitalbereich zerfetzen. Die Opfer sollen am besten
nur schwer verletzt sein - das bindet andere Soldaten für den Rücktransport
zu den Sanitätsstützpunkten und wirkt auf die kämpfende Truppe besonders
demoralisierend.
Moderne Minen verfügen in aller Regel über einen
Selbstzerstörungsmechanismus, der die Waffe nach einer vorher festgelegten
Zeit unschädlich machen soll, was von Militärs und Politikern aus
unterschiedlichen Motiven gepriesen wird. Die Militärs schätzen den
Mechanismus, um die Minen auch als Angriffswaffen einsetzen zu können - auf
einem Gebiet, das die eigenen Truppen später besetzen sollen. Für Politiker
ist Selbstzerstörung das Argument, intelligente Minen aus der Diskussion um
eine weltweite Ächtung herauszuhalten, da sie ja Zivilisten nicht gefährden
würden.
Denn so einfach der Einsatz, so schwierig die Räumung.
Minenräumpanzer sind dafür ungeeignet, weil sie Minen oft nicht zerstören,
sondern nur aus einer Spur von zwei bis drei Metern herausschleudern. So
bleibt in aller Regel die mühsame Arbeit, ein Feld mit Metalldetektoren
abzusuchen und jede einzelne Mine freizulegen und zu entschärfen. Das kostet
Zeit und Geld. Beides ist in den betroffenen Regionen nicht vorhanden. Die
Zeit drängt, damit das verminte Land endlich wieder bebaut werden kann und
Flüchtlinge zurückkehren können.
Um dies schnell zu realisieren, braucht man erhebliche Mittel. Die Räumung
einer 3-Dollar-Mine kostet rund 1.000 Dollar. Das einzige Land, das sich
einen solchen Einsatz in der letzten Zeit leisten konnte, war Kuweit. Die
Kuweitis beauftragten westliche Firmen und ließen die wichtigsten Areale für
viel Geld freiräumen.
Das sieht in Kambodscha etwas anders aus. Wird im bisherigen Tempo weiter
geräumt, ist Kambodscha nach UN-Angaben in 300 Jahren minenfrei,
vorausgesetzt, es werden keine neuen gelegt.
Insgesamt starben 75.000 Menschen in dem Krieg, der von den USA zeitweilig
mit 1,5 Millionen US-Dollar Militärhilfe am Tag für die Regierung angeheizt
wurde.
Nach dem Friedensschluß 1992 wurde mit Unterstützung von UNICEF ein
Schutzprogramm zur Warnung vor Minen entwickelt. 10.000 Tafeln und
Einzäunungen wurden überall in dem mittelamerikanischen Land aufgestellt. Sie
sollen die Mädchen und Jungen davon abhalten, auf den gefährlichen Feldern zu
spielen. Die FMLN, die Regierungsarmee und UN-Truppen bildeten außerdem
zusammen eine Kommission, die die Minenfelder räumen soll. Sie haben
inzwischen über 400 Minengebiete lokalisiert. Das Problem insbesondere der
von der FMLN verlegten Waffen besteht darin, daß die Lage der Minen nicht
kartografiert wurde - mit dem Tod eines Kämpfers ging häufig auch das Wissen
um die Lage der Minen verloren. Die Ortung, Räumung und Zerstörung der Minen
ist extrem teuer.
Was sich auf den ersten Blick radikal ausnimmt, löst bei Eingeweihten
allerdings Enttäuschung aus. "Die Entschließung, die dem Bundestag jetzt zur
Abstimmung vorliegt", so Thomas Gebauer von medico international, "wird an
der furchtbaren Lage der potentiellen Minenopfer in der Dritten Welt nichts
ändern, im Gegenteil: Der weitere Einsatz von Minen wird legitimiert."
Ganz im Gegensatz dazu sehen sich Abgeordnete wie der CDU- Mann Friedberg
Pflüger und sein SPD-Kollege Volker Kröning mit ihrem Antrag auf dem Weg der
guten Tat. Im Dienst der Sache habe man sich auf einen gemeinsamen Antrag von
CDU/CSU, FDP und SPD geeinigt, "um so der Bundesregierung wirkungsvoll den
Rücken zu stärken".
Unterstützt werden soll die Bundesregierung in einer restriktiven Haltung auf
der Mitte September in Wien beginnenden Überprüfungskonferenz der UNO zum
Einsatz von Landminen (siehe Kasten Seite 2). Seit Oktober 1980 existiert ein
UN-Waffen-Übereinkommen "Über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes
bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Leiden verursachen oder
unterschiedslos wirken können". Dieses Übereinkommen trat am 2. Dezember 1983
in Kraft, wurde aber erst von 42 Staaten ratifiziert.
Als Vorbereitung auf die Beschlußempfehlung für die Bundesregierung hat der
Bundestag bereits im Mai einmal über den Einsatz von Minen diskutiert. Damals
wollte sich auch die CDU noch für ein generelles Verbot von Minen, die gegen
Personen gerichtet sind, einsetzen. Pflüger, der den Antrag der CDU
begründete, erklärte kategorisch: "Es gibt keinen Zweck der Welt, der solche
Mittel heiligt. Im Gegenteil: Jedes politische Ziel, und sei es noch so edel,
wird durch das Mittel Anti-Personen- Minen diskreditiert."
Vor sechs Wochen bestand zwischen Koalition und Opposition noch in zwei
Fragen Dissens: Sollte man sich für ein Verbot sämtlicher Landminen
einsetzen, oder aber Anti-Panzer-Minen weiterhin zulassen? Und sollen
zukünftig noch Gelder für Forschung und Entwicklung von Minentechnik zur
Verfügung gestellt werden? Immerhin sind im Bundeshaushalt 95 knapp 400
Millionen Mark dafür ausgewiesen, jeden Tag werden mehr als eine Million Mark
öffentliche Gelder in die Erforschung von Minen gesteckt.
Seit vier Jahren gibt es eine internationale Kampagne gegen den Einsatz von
Landminen, die in Deutschland von medico international, aber auch den
kirchlichen Organisationen Brot für die Welt und Caritas, dem Jesuit Refugee
Service und anderen entwicklungspolitisch tätigen Organisationen unterstützt
wird. Die Kampagne soll die vollständige Ächtung sämtlicher Minen
durchsetzen. Außerdem fordern die Organisationen die Bereitstellung
ausreichender Mittel aus den Industrienationen, um die Minenfelder des Kalten
Krieges in der Dritten Welt wieder zu räumen.
Gemessen an diesem Ziel ist der Entschließungsantrag, den Koalitionsparteien
und SPD nach intensiven Ausschußberatungen jetzt vorlegen, tatsächlich eine
einzige Enttäuschung. Nicht nur daß die SPD von ihrem Nein zu Panzerminen
abgerückt ist - noch nicht einmal bei dem kategorischen Nein von Friedbert
Pflüger zu Anti-Personen-Minen ist es geblieben. Auf Druck der eigenen
Militärs, die selbst bei den zukünftigen Krisenreaktionskräften der
Bundeswehr nicht auf Anti-Personen-Minen verzichten wollen, soll jetzt nur
noch eine veraltete und in Deutschland nicht produzierte Minengeneration
verboten werden.
Moderne Minen, wie sie in den USA und Westeuropa jetzt gebaut werden, haben
einen Selbstzerstörungsmechanismus, der nach einem beliebigen Zeitraum
aktiviert werden kann. Nach Auffassung von medico-Mitarbeiter Thomas Gebauer
nutzt das den Menschen, deren Felder vermint wurden, aber "herzlich wenig."
Denn auch moderne Minen haben eine Ausfallquote von rund zehn Prozent. Im
Golfkrieg versagte der Selbstzerstörungsmechanismus sogar in noch weit
höherem Ausmaß.
"Beim Räumen von Minen", so Gebauer, "muß man also nach wie vor jede einzelne
Mine untersuchen. Der Aufwand bleibt der gleiche wie bei den alten Minen
auch." Das gilt auch für die Kosten. Da sieht es mit dem Einsatz der
Deutschen ziemlich mau aus. Ein UN- Fonds zur Unterstützung von
Minenräumaktionen ist von Bonn noch nicht bedient worden und die EU hat ganze
drei Millionen ECU zur Verfügung gestellt - gerade genug, um 4000 Minen
unschädlich zu machen.
Damit bleibt die Hauptlast für den Kampf gegen die "versteckten Mörder" bei
den regierungsunabhängigen Organisationen. Medico und andere in der
Anti-Minen- Kampagne zusammengeschlossenen Organisationen haben
Minenräumprojekte in Kurdistan, Salvador, Ruanda und Kambodscha unterstützt.
"Die Kampagne muß weitergehen", so Gebauer, "dann wird der Druck auch weiter
wachsen." Gebauer beruft sich auf einen prominenten Kronzeugen. In der
Zeitschrift Foreign Affairs von Oktober letzten Jahres hat UN-
Generalsekretär Butros Ghali in einem Aufsatz über das Problem der Landminen
darauf verwiesen, daß auch die Ächtung von biologischen und chemischen Waffen
nicht von heute auf morgen durchgesetzt werden konnte. Wer die Anti-Minen-Kampagne unterstützen will, kann sich an medico
international, 60314 Frankfurt, Obermainanlage 7 wenden.
Traum der Militärs und Waffentechniker in Deutschland ist es, Minenfelder zu
entwickeln, die bei Überfahrt der eigenen Truppen ausgeschaltet und bei
Anrücken des Feindes wieder angeknipst werden können. Allerdings funktioniert
das alles nicht so perfekt, wie die Elektroniker das gerne hätten.
Elektromagnetische Frequenzen wie Funk und Radar stellen dabei ein großes
Problem dar. Vor einigen Jahren sahen sich die Hersteller offenbar auch immer
wieder mit der Forderung konfrontiert, daß ihre High-Tech-Minen sogar nach
einer Atombombenexplosion keine Fehlzündungen haben dürften. "Auch wenn dies
technisch durchführbar ist, so muß man sich doch fragen, ob ein intaktes
Minenfeld nach einer Kernexplosion noch von irgendwelcher operationaler
Bedeutung ist", mahnte die Wehrtechnik vor ein paar Jahren derart
anspruchsvolle Kunden.
Mindestens elf Firmen in Deutschland sind nach Medico- Recherche an der
Herstellung von Minen beteiligt: Buck, DASA und Diehl, die sowohl mit Minen
als auch mit Räumgeräten Geld verdienen, Dynamit Nobel in Troisdorf als
wahrscheinlich führendes Unternehmen, die Gerätebau Brieselang,
Honeywell-Regelsysteme aus Maintal bei Frankfurt, die Kuko Schweißanlagen und
Roboter GmbH in Augsburg, MLRS- EPG in Ottobrunn, die Berliner Rheinmetall,
die Sensys AG sowie Wegmann und Co, die unter anderem in Kassel ansässig ist.
Die Waffenschmieden haben allein 1994 aus der Staatskasse 345,5 Millionen
Mark für die Erforschung- und Entwicklung von Minen kassiert.
Die Aussichten, daß die UNO- Abteilung für humanitäre Angelegenheiten (DHA),
die diese Programme koordiniert, in Genf Finanzzusagen in dem angestrebten
Umfang erhält, sind äußerst gering. So hat zum Beispiel die EU mit ihren 15
wirtschaftlich starken Mitgliedern lediglich 3 Millionen Ecu (etwa 4,2
Millionen Dollar) in Aussicht gestellt. - Doch auch wenn die benötigten
Summen zusammenkämen, wäre dies nach Aussagen westlicher Diplomaten "nicht
mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein". Die Beseitigung aller 110
Millionen derzeit verbuddelten Anti-Personen-Minen kostet nach
UNO-Schätzungen 33 Milliarden US-Dollar. Das sind 300 Dollar pro Mine, das
Hundertfache der Produktions- und Stationierungskosten. Dazu kommen die
enormen Folgekosten durch jährlich 10.000 Tote und 20.000 Invaliden infolge
von Minenexplosionen.
Beim derzeitigen Räumungstempo von 100.000 Minen pro Jahr würde die
Beseitigung aller gelegten Minen nach UNO-Schätzung rund 3.000 Jahre dauern -
vorausgesetzt, es erfolgte zugleich ein weltweiter Stationierungsstopp.
Tatsächlich werden jedoch jährlich rund 2 Millionen neue Anti-Personen-Minen
gelegt.
Die Bundesregierung will Landminen ächten - aber nur solche, die
nicht von der deutschen Industrie hergestellt werden. Heute berät der
Auswärtige Ausschuß über einen Entschließungsantrag, der die deutsche
Position auf der Landminenkonferenz im September definieren soll. Der
Bundestag soll nächste Woche darüber abstimmen. Unterdes werden
munter weiter Minen gelegt und Kinder zerfetzt.
Kambodscha - Hunger trotz Reichtum
In den riesigen Wäldern und auf den fruchtbaren Überschwemmungsgebieten
Kambodschas bedrohen heute bis zu zehn Millionen Minen die Bevölkerung. Trotz
des natürlichen Reichtums ihres Landes sind viele KambodschanerInnen vom
Hunger bedroht, weil der Reisanbau in vielen Gegenden nicht mehr stattfinden
kann. Obwohl es offiziell einen Friedensvertrag gibt, werden auch heute noch
neue Minen verlegt - sogar mehr als entschärft und weggebracht werden. "Die
Räumung aller Minen würde das Dreifache des Sozialprodukts Kambodschas
verschlingen", hat medico international ausgerechnet.
aje
Landminen: Der Völkermord in Zeitlupe
Minen sind eine Pest, die sich immer weiter verbreitet. Millionen
Minen werden jährlich gelegt und nur 100.000 geräumt. Die
Zivilbevölkerung muß leiden
Urfa ist ein verschlafenes Nest. Im Sommer ist die Stadt im türkischen
Kurdistan wie ausgestorben. Bei vierzig Grad dösen die Menschen auf dem Basar
vor sich hin. Selbst die Esel, die zum Verkauf angeboten werden, wirken
apathisch. Das ist aber nicht nur eine Folge der Hitze: Die Tiere sind uralt.
Zum Lastenschleppen dienen sie nicht mehr. Trotzdem werden sie gekauft. Die
Bauern benutzen sie als lebende Minensuchgeräte. Der unerklärte Krieg in
Türkisch- Kurdistan hat für die Zivilbevölkerung dazu geführt, daß immer mehr
Landstriche vermint werden, besonders die Grenzgebiete zu Irak, Iran und
Syrien. Wo der Weg von einem Dorf ins andere zu einer Todesroute wird,
trottet jetzt der Esel voran.
Jürgen Gottschlich
El Salvador - 75 Prozent der Opfer sind Kinder
Drei Viertel der Minenopfer in El Salvador sind Kinder. Etwa 40.000 Menschen
in dem kleinen, dichtbesiedelten Land, dessen Fläche nicht größer als die von
Hessen ist, wurden nach Schätzung vom Roten Kreuz seit Beginn des
Bürgerkriegs zwischen der FMLN-Guerilla und der Regierung Anfang der
achtziger Jahre auf diese Weise verletzt.
aje
Ein fauler Kompromiß
Was der Bundestag beschließen soll, wird der Dritten Welt nichts
nützen und der deutschen Industrie nicht schaden
Wenn nichts dazwischen kommt, wird der Bundestag nächste Woche - erstmals in
seiner Geschichte und in letzter Minute vor der Sommerpause - eine
Entschließung verabschieden, durch die die Bundesregierung aufgefordert wird,
sich für die Ächtung von Landminen einzusetzen. Heute wird im Auswärtigen
Ausschuß des Bundestages über die Entschließung beraten. "Der Deutsche
Bundestag", heißt es darin, "fordert die Bundesregierung auf, sich für ein
weltweites Entwicklungs-, Produktions-, Export-, und Einsatzverbot von
fernverlegten Minen ohne Selbstzerstörungsmechanismus und von metallosen
Minen einzusetzen ..."
Jürgen
Gottschlich
Der gute Stern in allen Äckern
Die deutsche Industrie hat weiche Ziele und wird dafür vom
Steuerzahler subventioniert - ein kleines Name-dropping
"Neu sind nicht die Waffen. Neu ist die Sensorik" - so preist die Sensys AG
in Neuss ihr Produkt an. Mit dem dort entwickelten Sensor- System können
verschiedene Minen und Schußwaffen so kombiniert werden, daß sich eine
perfekte elektronische Schutzmauer ergibt. Nicht nur weiche Ziele, wie
Menschen im Fachjargon heißen, sondern auch Panzer und Helikopter werden so
garantiert zerfetzt.
Annette Jensen
Ex-Jugoslawien - vermintes Gelände
Bereits zwei Millionen Landminen wurden in den vergangenen vier Kriegsjahren
im ehemaligen Jugoslawien gelegt. Das vermutet die UNO, die jedoch keine
genauen Zahlen vorlegen kann. Einige Hundert Menschen sollen diesen
Informationen zufolge durch Tretminen ums Leben gekommen und Tausende durch
die heimtückischen Sprengkörper schwer verletzt worden sein. Nach UNO-Angaben
setzen alle Kriegsparteien Minen. Die Produktion läuft auf Hochtouren. In
Zagreb, Belgrad und Sarajevo sind Minen zu einem Preis von weniger als zehn
Mark auf dem Waffenbasar zu erwerben. Manch einer versteckt Minen in seinem
Garten, um feindliche Soldaten von einer Plünderung seines Hauses abzuhalten.
Im kommunistischen Jugoslawien gab es landesweit Fabriken, in denen meist in
russischer Lizenz TMRP-6 und UPMAH-3 Minen hergestellt wurden. Innerhalb der
kommunistischen Staatenwelt galt Jugoslawien als einer der größten
Minenexporteure. Vor Ausbruch des Krieges in Kroatien und Bosnien lagerten in
den Arsenalen der Jugoslawischen Volksarmee angeblich noch vier Millionen
Minen, wovon der Großteil beim Zusammenbruch des Vielvölkerstaates an
serbische Verbände und Freischärlergruppen gefallen sei. Doch auch Kroaten
und Bosnier besitzen heute eine eigene Minenproduktion.
Karl Gersuny
entnommen aus der TAZ vom 05.07.1995 Siete 8
110.000.000 Minen
UNO fordert Geld für Räumung
Genf (taz) - Zusagen in Höhe von 70 Millionen US-Dollar für die
Räumung von Anti-Personen-Minen in Kambodscha, Afghanistan, Mosambik und
Somalia erhofft sich die UNO von einer dreitägigen Konferenz auf
Regierungsebene, die heute in Genf beginnt. In diesen vier Staaten liegen die
meisten der rund 110 Millionen Anti-Personen-Minen, die derzeit auf den
Territorien von 64 Ländern vergraben sind. Für Minenräumprogramme in den
übrigen 60 Ländern benötigt die UNO im laufenden Jahr weitere 128 Millionen
Dollar.
azu