entnommen aus der TAZ vom 21.6.95 Seite 1

Jährlich gibt es weltweit 26.000 Opfer von Landminen / Der Bundestag will nur Billigminen ächten

Berlin (taz) - Landminen sind verdammenswert. Das meint auch der Auswärtige Ausschuß des Bundestags. Er wird heute eine Ächtung dieser Waffe empfehlen. Was sich aber als humanitäre Politik darstellen soll, ist in Wirklichkeit Wirtschaftsförderung für deutsche Waffenschmieden. Hierzulande werden billige Tret- und Plastikminen nämlich schon lange nicht mehr hergestellt. Die in Deutschland produzierten Anti-Panzer- Minen sollen aber ebensowenig verboten werden wie "intelligente" Systeme mit Selbstzerstörungsmechanismus. Der Bundestag soll nächste Woche über die Vorlage abstimmen.

Die Beschäftigung mit dem Thema war notwendig geworden, weil Frankreich eine Überprüfungskonferenz für das 1980 verabschiedete Landminenprotokoll beantragt hatte. Vorletztes Jahr hatte Deutschland den Vertrag ratifiziert, um bei einer Novellierung mitreden zu dürfen.

Während der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, Knut Ipsen, gestern lediglich ein Verbot aller Anti-Personen-Minen forderte, will die Internationale Landminenkampagne alle Minen abschaffen. "Eine Anti-Panzer-Mine explodiert, wenn ein Bauer sie ausgräbt. Sie kann auch nicht zwischen einem Schulbus und einem Militärfahrzeug unterscheiden", begründet Thomas Gebauer von medico international diese Position.

Jedes Jahr werden etwa 26.000 Menschen durch Minen getötet oder verstümmelt. Auch wenn der Krieg schon lange vorbei ist, fordert er auf diese Weise immer neue Opfer. Und die Verseuchung der Erde mit dieser oft weniger als zehn Mark teuren Waffe schreitet massiv voran. Fünf bis zehn Millionen Minen werden Jahr für Jahr produziert; zwischen 80 und 110 Millionen Stück liegen bereits in 65 Ländern herum. Entschärft werden aber nur etwa 100.000 im Jahr - die Räumung ist mit 1.000 Dollar pro Stück extrem teuer.

aje


entnommen aus der TAZ vom 21.6.95 Seite 2

Selbstzerstörung

Keiner will verzichten

Wozu nützt die internationale Landminenkonferenz im September?

Ende September soll das Landminenprotokoll von 1980 in Wien überprüft werden. Frankreich hatte den Antrag gestellt, den inzwischen von 43 Ländern ratifizierten Vertrag schärfer zu fassen. Denn bisher ist das Papier kaum mehr als eine Sammlung von unverbindlichen Absichten: Der Einsatz von Minen soll beschränkt werden und sich nicht gegen die Zivilbevölkerung richten. "An der tatsächlichen Verwendung von Minen hat das Protokoll nichts geändert", konstatiert Thomas Gebauer von medico international. Und die Vorbereitungstreffen für die dreiwöchige Konferenz haben ihn keineswegs optimistisch gestimmt.

Nur sieben Länder fordern den weltweiten Bann aller Minen: Mexiko, Kambodscha und Afghanistan, Irland, Kolumbien, Estland und Schweden. Die deutsche Regierung hingegen besteht darauf, daß Minen zur Landesverteidigung notwendig seien. Sowohl Anti-Panzer-Minen als auch durch Raketen und Flugzeuge verlegbare Minenteppiche will die Bundeswehr weiterhin in ihren Waffenkammern wissen. Fernverlegbare Systeme sollen mit einem Selbstzerstörungsmechanismus ausgestattet sein, nicht aber systematisch verlegte Anti-Panzer-Minen. Auch die USA und andere Nato-Länder unterstützen diese Position.

China, einer der größten Minenhersteller, protestiert gegen eine solche Regelung, weil das Land ökonomische Einbußen fürchtet. Die billigen Tretminen und die als Plastikspielzeug getarnten Minen verfügen nämlich nicht über die komplizierte Elektronik. Pakistan will nicht einmal festschreiben, daß Minen geächtet werden, die durch Suchgeräte nicht aufspürbar sind. Weil das Protokoll im Konsens angenommen werden muß, werden andere Staaten dem Land für den Verzicht auf ein Veto etwas anbieten müssen - Unterstützung bei der Produktion modernerer Systeme wäre da eine Möglichkeit.

Der Vertrag wird nur dann Wirkung haben, wenn seine Einhaltung überprüft wird. Hier fordert Deutschland eine starke Kontrolle durch die UNO - wohlwissend, daß das Risiko für eine Verabschiedung gering ist. Im Vorfeld der Überprüfungskonferenz ist nämlich von verschiedenen Seiten immer wieder von einer "Selbst-Beobachtung der Armeen" die Rede. "Wenn die Einhaltung der Konvention von denen überprüft werden soll, die dagegen verstoßen, ist endgültig der Bock zum Gärtner gemacht", so Gebauer.

Annette Jensen


Die Bundesregierung will Landminen ächten - aber nur solche, die nicht von der deutschen Industrie hergestellt werden. Heute berät der Auswärtige Ausschuß über einen Entschließungsantrag, der die deutsche Position auf der Landminenkonferenz im September definieren soll. Der Bundestag soll nächste Woche darüber abstimmen. Unterdes werden munter weiter Minen gelegt und Kinder zerfetzt.

Die Bundesregierung will Landminen ächten - aber nur solche, die nicht von der deutschen Industrie hergestellt werden. Heute berät der Auswärtige Ausschuß über einen Entschließungsantrag, der die deutsche Position auf der Landminenkonferenz im September definieren soll. Der Bundestag soll nächste Woche darüber abstimmen. Unterdes werden munter weiter Minen gelegt und Kinder zerfetzt.



Kambodscha - Hunger trotz Reichtum
In den riesigen Wäldern und auf den fruchtbaren Überschwemmungsgebieten Kambodschas bedrohen heute bis zu zehn Millionen Minen die Bevölkerung. Trotz des natürlichen Reichtums ihres Landes sind viele KambodschanerInnen vom Hunger bedroht, weil der Reisanbau in vielen Gegenden nicht mehr stattfinden kann. Obwohl es offiziell einen Friedensvertrag gibt, werden auch heute noch neue Minen verlegt - sogar mehr als entschärft und weggebracht werden. "Die Räumung aller Minen würde das Dreifache des Sozialprodukts Kambodschas verschlingen", hat medico international ausgerechnet.

Hergestellt in den Waffenschmieden der USA, Chinas, Frankreichs und der Ex-UdSSR, der früheren CSSR, Vietnams, Singapurs, Thailands und Italiens haben Minen in dem 1970 begonnenen Krieg und Bürgerkrieg schon heute mehr Menschen das Leben gekostet als jede andere Waffe. Über 35.000 Kindern, Frauen und Männern mußten schon aufgrund von Minenverletzungen Arme oder Beine amputiert werden. Hinter Malaria und Tuberkulose gilt solcherart verursachte Verstümmelung als Volkskrankheit Nummer drei in dem asiatischen Land. Die UNO hält die Minenverseuchung für die schlimmste von Menschen verursachte Umweltkatastrophe dieses Jahrhunderts in Kambodscha.

aje


entnommen aus der TAZ vom 21.6.95 Seite 3

Landminen: Der Völkermord in Zeitlupe

Minen sind eine Pest, die sich immer weiter verbreitet. Millionen Minen werden jährlich gelegt und nur 100.000 geräumt. Die Zivilbevölkerung muß leiden

Urfa ist ein verschlafenes Nest. Im Sommer ist die Stadt im türkischen Kurdistan wie ausgestorben. Bei vierzig Grad dösen die Menschen auf dem Basar vor sich hin. Selbst die Esel, die zum Verkauf angeboten werden, wirken apathisch. Das ist aber nicht nur eine Folge der Hitze: Die Tiere sind uralt. Zum Lastenschleppen dienen sie nicht mehr. Trotzdem werden sie gekauft. Die Bauern benutzen sie als lebende Minensuchgeräte. Der unerklärte Krieg in Türkisch- Kurdistan hat für die Zivilbevölkerung dazu geführt, daß immer mehr Landstriche vermint werden, besonders die Grenzgebiete zu Irak, Iran und Syrien. Wo der Weg von einem Dorf ins andere zu einer Todesroute wird, trottet jetzt der Esel voran.

Wie in Kurdistan sind weite Landstriche der Dritten Welt und neuerdings auch Europas - nämlich im ehemaligen Jugoslawien - durch Minen verseucht.

- Schätzungen von UNO, dem Internationalen Roten Kreuz und dem US-State-Department bewegen sich zwischen 80 und 200 Millionen Minen, die in 65 Ländern unerkannt als tödliche Gefahr in der Erde lauern.

- Jahr für Jahr werden fünf bis zehn Millionen Minen produziert. Zwei Millionen Minen werden gelegt, aber nur 100.000 beseitigt.

- Jedes Jahr werden 26.000 Menschen durch Landminen getötet oder verletzt, das sind siebzig pro Tag, drei in der Stunde. Jede Stunde werden ein Kind beim Spielen, eine Frau beim Wasserholen oder ein Mann beim Versuch, ein Stück Land wieder zu bebauen, von einer Mine zerrissen. Die Überlebenden sind verstümmelt.

Betroffen sind vor allem die Regionen, in denen sich die Stellvertreterkriege der Großmächte in den letzten vierzig Jahren konzentrierten, in Südostasien sind das Kambodscha, Vietnam, Laos, in Mittelamerika Salvador, Nicaragua, Honduras, in Afrika Angola, Somalia, Mosambik, im Nahen Osten Kurdistan und Afghanistan.

Wenn der Krieg offiziell vorbei ist, fängt der Minenkrieg erst richtig an. Flüchtlinge, die in ihre Dörfer zurückkehren, finden ihre Äcker, ihre Wasserstellen, manchmal gar ihre Häuser vermint wieder.

Minenprotokolle existieren fast nie, oft sind Minen ja von vornherein als Terrorinstrument gegen die Zivilbevölkerung gedacht. Den kriegführenden Parteien gelten Minen in vielen Situationen als ideale Waffe. Sie sind billig - die Stückkosten für einfache Anti- Personen-Minen liegen bei rund 3 Dollar. Einmal verlegt bleiben sie über Jahrzehnte scharf - ein optimaler Soldat, wie ein General der Roten Khmer einmal erläuterte: "billig, zuverlässig und jederzeit einsatzbereit".

Minen wurden erstmals im Ersten Weltkrieg als Tretminen, die ein bestimmtes Gelände sperren sollten, eingesetzt. Im Zweiten Weltkrieg waren Minen die Anti- Panzer-Waffe schlechthin. Um zu verhindern, daß Minenfelder gegen Panzer leicht geräumt werden können, wurden sie durch Anti- Personen-Minen gesichert. Während des Krieges genügte es den Militärs dann, Schneisen durch Minenfelder zu schlagen und die Durchfahrten zu sichern. Der Rest blieb liegen. Weite Teile der Nordafrikanischen Wüste sind seit den Rommelschen Feldzügen minenverseucht.

Massenhaften Mineneinsatz gegen Guerillatruppen führten erstmals die USA in Vietnam durch. Aus Hubschraubern wurden ganze Minenfelder in wenigen Minuten verlegt - eine Hinterlassenschaft, die Kambodscha, das nach den Amerikanern noch von den Roten Khmer, den Chinesen und Vietnamesen vermint wurde, zu dem am schlimmsten verseuchten Gebiet weltweit machen.

Selbst Minen, die noch zur Primitivversion zählen, offenbaren bereits eine besondere Perversion des militärischen Denken. Sie sind häufig so konstruiert, daß sie vor der Detonation einen halben Meter in die Höhe springen und gezielt den Genitalbereich zerfetzen. Die Opfer sollen am besten nur schwer verletzt sein - das bindet andere Soldaten für den Rücktransport zu den Sanitätsstützpunkten und wirkt auf die kämpfende Truppe besonders demoralisierend.

Moderne Minen verfügen in aller Regel über einen Selbstzerstörungsmechanismus, der die Waffe nach einer vorher festgelegten Zeit unschädlich machen soll, was von Militärs und Politikern aus unterschiedlichen Motiven gepriesen wird. Die Militärs schätzen den Mechanismus, um die Minen auch als Angriffswaffen einsetzen zu können - auf einem Gebiet, das die eigenen Truppen später besetzen sollen. Für Politiker ist Selbstzerstörung das Argument, intelligente Minen aus der Diskussion um eine weltweite Ächtung herauszuhalten, da sie ja Zivilisten nicht gefährden würden.

Denn so einfach der Einsatz, so schwierig die Räumung.

Minenräumpanzer sind dafür ungeeignet, weil sie Minen oft nicht zerstören, sondern nur aus einer Spur von zwei bis drei Metern herausschleudern. So bleibt in aller Regel die mühsame Arbeit, ein Feld mit Metalldetektoren abzusuchen und jede einzelne Mine freizulegen und zu entschärfen. Das kostet Zeit und Geld. Beides ist in den betroffenen Regionen nicht vorhanden. Die Zeit drängt, damit das verminte Land endlich wieder bebaut werden kann und Flüchtlinge zurückkehren können.

Um dies schnell zu realisieren, braucht man erhebliche Mittel. Die Räumung einer 3-Dollar-Mine kostet rund 1.000 Dollar. Das einzige Land, das sich einen solchen Einsatz in der letzten Zeit leisten konnte, war Kuweit. Die Kuweitis beauftragten westliche Firmen und ließen die wichtigsten Areale für viel Geld freiräumen.

Das sieht in Kambodscha etwas anders aus. Wird im bisherigen Tempo weiter geräumt, ist Kambodscha nach UN-Angaben in 300 Jahren minenfrei, vorausgesetzt, es werden keine neuen gelegt.

Jürgen Gottschlich



El Salvador - 75 Prozent der Opfer sind Kinder
Drei Viertel der Minenopfer in El Salvador sind Kinder. Etwa 40.000 Menschen in dem kleinen, dichtbesiedelten Land, dessen Fläche nicht größer als die von Hessen ist, wurden nach Schätzung vom Roten Kreuz seit Beginn des Bürgerkriegs zwischen der FMLN-Guerilla und der Regierung Anfang der achtziger Jahre auf diese Weise verletzt.

Insgesamt starben 75.000 Menschen in dem Krieg, der von den USA zeitweilig mit 1,5 Millionen US-Dollar Militärhilfe am Tag für die Regierung angeheizt wurde.

Nach dem Friedensschluß 1992 wurde mit Unterstützung von UNICEF ein Schutzprogramm zur Warnung vor Minen entwickelt. 10.000 Tafeln und Einzäunungen wurden überall in dem mittelamerikanischen Land aufgestellt. Sie sollen die Mädchen und Jungen davon abhalten, auf den gefährlichen Feldern zu spielen. Die FMLN, die Regierungsarmee und UN-Truppen bildeten außerdem zusammen eine Kommission, die die Minenfelder räumen soll. Sie haben inzwischen über 400 Minengebiete lokalisiert. Das Problem insbesondere der von der FMLN verlegten Waffen besteht darin, daß die Lage der Minen nicht kartografiert wurde - mit dem Tod eines Kämpfers ging häufig auch das Wissen um die Lage der Minen verloren. Die Ortung, Räumung und Zerstörung der Minen ist extrem teuer.

aje

Ein fauler Kompromiß

Was der Bundestag beschließen soll, wird der Dritten Welt nichts nützen und der deutschen Industrie nicht schaden

Wenn nichts dazwischen kommt, wird der Bundestag nächste Woche - erstmals in seiner Geschichte und in letzter Minute vor der Sommerpause - eine Entschließung verabschieden, durch die die Bundesregierung aufgefordert wird, sich für die Ächtung von Landminen einzusetzen. Heute wird im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages über die Entschließung beraten. "Der Deutsche Bundestag", heißt es darin, "fordert die Bundesregierung auf, sich für ein weltweites Entwicklungs-, Produktions-, Export-, und Einsatzverbot von fernverlegten Minen ohne Selbstzerstörungsmechanismus und von metallosen Minen einzusetzen ..."

Was sich auf den ersten Blick radikal ausnimmt, löst bei Eingeweihten allerdings Enttäuschung aus. "Die Entschließung, die dem Bundestag jetzt zur Abstimmung vorliegt", so Thomas Gebauer von medico international, "wird an der furchtbaren Lage der potentiellen Minenopfer in der Dritten Welt nichts ändern, im Gegenteil: Der weitere Einsatz von Minen wird legitimiert."

Ganz im Gegensatz dazu sehen sich Abgeordnete wie der CDU- Mann Friedberg Pflüger und sein SPD-Kollege Volker Kröning mit ihrem Antrag auf dem Weg der guten Tat. Im Dienst der Sache habe man sich auf einen gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, FDP und SPD geeinigt, "um so der Bundesregierung wirkungsvoll den Rücken zu stärken".

Unterstützt werden soll die Bundesregierung in einer restriktiven Haltung auf der Mitte September in Wien beginnenden Überprüfungskonferenz der UNO zum Einsatz von Landminen (siehe Kasten Seite 2). Seit Oktober 1980 existiert ein UN-Waffen-Übereinkommen "Über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können". Dieses Übereinkommen trat am 2. Dezember 1983 in Kraft, wurde aber erst von 42 Staaten ratifiziert.

Als Vorbereitung auf die Beschlußempfehlung für die Bundesregierung hat der Bundestag bereits im Mai einmal über den Einsatz von Minen diskutiert. Damals wollte sich auch die CDU noch für ein generelles Verbot von Minen, die gegen Personen gerichtet sind, einsetzen. Pflüger, der den Antrag der CDU begründete, erklärte kategorisch: "Es gibt keinen Zweck der Welt, der solche Mittel heiligt. Im Gegenteil: Jedes politische Ziel, und sei es noch so edel, wird durch das Mittel Anti-Personen- Minen diskreditiert."

Vor sechs Wochen bestand zwischen Koalition und Opposition noch in zwei Fragen Dissens: Sollte man sich für ein Verbot sämtlicher Landminen einsetzen, oder aber Anti-Panzer-Minen weiterhin zulassen? Und sollen zukünftig noch Gelder für Forschung und Entwicklung von Minentechnik zur Verfügung gestellt werden? Immerhin sind im Bundeshaushalt 95 knapp 400 Millionen Mark dafür ausgewiesen, jeden Tag werden mehr als eine Million Mark öffentliche Gelder in die Erforschung von Minen gesteckt.

Seit vier Jahren gibt es eine internationale Kampagne gegen den Einsatz von Landminen, die in Deutschland von medico international, aber auch den kirchlichen Organisationen Brot für die Welt und Caritas, dem Jesuit Refugee Service und anderen entwicklungspolitisch tätigen Organisationen unterstützt wird. Die Kampagne soll die vollständige Ächtung sämtlicher Minen durchsetzen. Außerdem fordern die Organisationen die Bereitstellung ausreichender Mittel aus den Industrienationen, um die Minenfelder des Kalten Krieges in der Dritten Welt wieder zu räumen.

Gemessen an diesem Ziel ist der Entschließungsantrag, den Koalitionsparteien und SPD nach intensiven Ausschußberatungen jetzt vorlegen, tatsächlich eine einzige Enttäuschung. Nicht nur daß die SPD von ihrem Nein zu Panzerminen abgerückt ist - noch nicht einmal bei dem kategorischen Nein von Friedbert Pflüger zu Anti-Personen-Minen ist es geblieben. Auf Druck der eigenen Militärs, die selbst bei den zukünftigen Krisenreaktionskräften der Bundeswehr nicht auf Anti-Personen-Minen verzichten wollen, soll jetzt nur noch eine veraltete und in Deutschland nicht produzierte Minengeneration verboten werden.

Moderne Minen, wie sie in den USA und Westeuropa jetzt gebaut werden, haben einen Selbstzerstörungsmechanismus, der nach einem beliebigen Zeitraum aktiviert werden kann. Nach Auffassung von medico-Mitarbeiter Thomas Gebauer nutzt das den Menschen, deren Felder vermint wurden, aber "herzlich wenig." Denn auch moderne Minen haben eine Ausfallquote von rund zehn Prozent. Im Golfkrieg versagte der Selbstzerstörungsmechanismus sogar in noch weit höherem Ausmaß.

"Beim Räumen von Minen", so Gebauer, "muß man also nach wie vor jede einzelne Mine untersuchen. Der Aufwand bleibt der gleiche wie bei den alten Minen auch." Das gilt auch für die Kosten. Da sieht es mit dem Einsatz der Deutschen ziemlich mau aus. Ein UN- Fonds zur Unterstützung von Minenräumaktionen ist von Bonn noch nicht bedient worden und die EU hat ganze drei Millionen ECU zur Verfügung gestellt - gerade genug, um 4000 Minen unschädlich zu machen.

Damit bleibt die Hauptlast für den Kampf gegen die "versteckten Mörder" bei den regierungsunabhängigen Organisationen. Medico und andere in der Anti-Minen- Kampagne zusammengeschlossenen Organisationen haben Minenräumprojekte in Kurdistan, Salvador, Ruanda und Kambodscha unterstützt. "Die Kampagne muß weitergehen", so Gebauer, "dann wird der Druck auch weiter wachsen." Gebauer beruft sich auf einen prominenten Kronzeugen. In der Zeitschrift Foreign Affairs von Oktober letzten Jahres hat UN- Generalsekretär Butros Ghali in einem Aufsatz über das Problem der Landminen darauf verwiesen, daß auch die Ächtung von biologischen und chemischen Waffen nicht von heute auf morgen durchgesetzt werden konnte.

Jürgen Gottschlich

Wer die Anti-Minen-Kampagne unterstützen will, kann sich an medico international, 60314 Frankfurt, Obermainanlage 7 wenden.


Der gute Stern in allen Äckern

Die deutsche Industrie hat weiche Ziele und wird dafür vom Steuerzahler subventioniert - ein kleines Name-dropping

"Neu sind nicht die Waffen. Neu ist die Sensorik" - so preist die Sensys AG in Neuss ihr Produkt an. Mit dem dort entwickelten Sensor- System können verschiedene Minen und Schußwaffen so kombiniert werden, daß sich eine perfekte elektronische Schutzmauer ergibt. Nicht nur weiche Ziele, wie Menschen im Fachjargon heißen, sondern auch Panzer und Helikopter werden so garantiert zerfetzt.

Traum der Militärs und Waffentechniker in Deutschland ist es, Minenfelder zu entwickeln, die bei Überfahrt der eigenen Truppen ausgeschaltet und bei Anrücken des Feindes wieder angeknipst werden können. Allerdings funktioniert das alles nicht so perfekt, wie die Elektroniker das gerne hätten. Elektromagnetische Frequenzen wie Funk und Radar stellen dabei ein großes Problem dar. Vor einigen Jahren sahen sich die Hersteller offenbar auch immer wieder mit der Forderung konfrontiert, daß ihre High-Tech-Minen sogar nach einer Atombombenexplosion keine Fehlzündungen haben dürften. "Auch wenn dies technisch durchführbar ist, so muß man sich doch fragen, ob ein intaktes Minenfeld nach einer Kernexplosion noch von irgendwelcher operationaler Bedeutung ist", mahnte die Wehrtechnik vor ein paar Jahren derart anspruchsvolle Kunden.

Mindestens elf Firmen in Deutschland sind nach Medico- Recherche an der Herstellung von Minen beteiligt: Buck, DASA und Diehl, die sowohl mit Minen als auch mit Räumgeräten Geld verdienen, Dynamit Nobel in Troisdorf als wahrscheinlich führendes Unternehmen, die Gerätebau Brieselang, Honeywell-Regelsysteme aus Maintal bei Frankfurt, die Kuko Schweißanlagen und Roboter GmbH in Augsburg, MLRS- EPG in Ottobrunn, die Berliner Rheinmetall, die Sensys AG sowie Wegmann und Co, die unter anderem in Kassel ansässig ist. Die Waffenschmieden haben allein 1994 aus der Staatskasse 345,5 Millionen Mark für die Erforschung- und Entwicklung von Minen kassiert.

Annette Jensen



Ex-Jugoslawien - vermintes Gelände
Bereits zwei Millionen Landminen wurden in den vergangenen vier Kriegsjahren im ehemaligen Jugoslawien gelegt. Das vermutet die UNO, die jedoch keine genauen Zahlen vorlegen kann. Einige Hundert Menschen sollen diesen Informationen zufolge durch Tretminen ums Leben gekommen und Tausende durch die heimtückischen Sprengkörper schwer verletzt worden sein. Nach UNO-Angaben setzen alle Kriegsparteien Minen. Die Produktion läuft auf Hochtouren. In Zagreb, Belgrad und Sarajevo sind Minen zu einem Preis von weniger als zehn Mark auf dem Waffenbasar zu erwerben. Manch einer versteckt Minen in seinem Garten, um feindliche Soldaten von einer Plünderung seines Hauses abzuhalten. Im kommunistischen Jugoslawien gab es landesweit Fabriken, in denen meist in russischer Lizenz TMRP-6 und UPMAH-3 Minen hergestellt wurden. Innerhalb der kommunistischen Staatenwelt galt Jugoslawien als einer der größten Minenexporteure. Vor Ausbruch des Krieges in Kroatien und Bosnien lagerten in den Arsenalen der Jugoslawischen Volksarmee angeblich noch vier Millionen Minen, wovon der Großteil beim Zusammenbruch des Vielvölkerstaates an serbische Verbände und Freischärlergruppen gefallen sei. Doch auch Kroaten und Bosnier besitzen heute eine eigene Minenproduktion.

Karl Gersuny


entnommen aus der TAZ vom 05.07.1995 Siete 8

110.000.000 Minen

UNO fordert Geld für Räumung

Genf (taz) - Zusagen in Höhe von 70 Millionen US-Dollar für die Räumung von Anti-Personen-Minen in Kambodscha, Afghanistan, Mosambik und Somalia erhofft sich die UNO von einer dreitägigen Konferenz auf Regierungsebene, die heute in Genf beginnt. In diesen vier Staaten liegen die meisten der rund 110 Millionen Anti-Personen-Minen, die derzeit auf den Territorien von 64 Ländern vergraben sind. Für Minenräumprogramme in den übrigen 60 Ländern benötigt die UNO im laufenden Jahr weitere 128 Millionen Dollar.

Die Aussichten, daß die UNO- Abteilung für humanitäre Angelegenheiten (DHA), die diese Programme koordiniert, in Genf Finanzzusagen in dem angestrebten Umfang erhält, sind äußerst gering. So hat zum Beispiel die EU mit ihren 15 wirtschaftlich starken Mitgliedern lediglich 3 Millionen Ecu (etwa 4,2 Millionen Dollar) in Aussicht gestellt. - Doch auch wenn die benötigten Summen zusammenkämen, wäre dies nach Aussagen westlicher Diplomaten "nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein". Die Beseitigung aller 110 Millionen derzeit verbuddelten Anti-Personen-Minen kostet nach UNO-Schätzungen 33 Milliarden US-Dollar. Das sind 300 Dollar pro Mine, das Hundertfache der Produktions- und Stationierungskosten. Dazu kommen die enormen Folgekosten durch jährlich 10.000 Tote und 20.000 Invaliden infolge von Minenexplosionen.

Beim derzeitigen Räumungstempo von 100.000 Minen pro Jahr würde die Beseitigung aller gelegten Minen nach UNO-Schätzung rund 3.000 Jahre dauern - vorausgesetzt, es erfolgte zugleich ein weltweiter Stationierungsstopp. Tatsächlich werden jedoch jährlich rund 2 Millionen neue Anti-Personen-Minen gelegt.

azu